Zinskommentar 06-07-2012
- Folgen der Leitzinssenkung
- Kartenhaus der Süd- und Peripherieländer bricht zusammen
- Deutschland wird bezahlen
EZB senkt Leitzins auf Rekordniveau
Wie von den meisten Marktbeobachtern erwartet, hat die Europäische Zentralbank (EZB) gestern den Leitzins für den Euroraum um 0,25 Prozent auf nunmehr 0,75 Prozent gesenkt. Gleichzeitig hat EZB-Präsident Mario Draghi erklärt, dass Banken ab jetzt für ihre Über-Nacht-Einlagen bei der Notenbank keine Zinsen mehr erhalten werden. Im Gegenzug können sich Banken jetzt zu einem Zinssatz von 1,5 Prozent Geld bei der Zentralbank leihen. Damit wurden auch in diesen beiden Bereichen die Zinssätze um jeweils 0,25 Prozent gesenkt. Ziel des Maßnahmen-Paketes ist es, die Verbilligung von Krediten zu erreichen. Gleichzeitig sollen Banken dazu animiert werden, mehr Kredite zu vergeben und ihre Liquidität nicht bei der EZB zu horten. Soweit die Theorie – in der Praxis werden die Impulse jedoch verschwindend gering sein.
Folgen der Leitzinssenkung
Der Kreditkreislauf ist seit dem Ausbruch der Krise vor nunmehr fast fünf Jahren in den meisten Ländern massiv gestört und daran kann auch die Ausreizung der letzten kleinen Möglichkeiten bei den Leitzinsen nichts ändern. Die Banken, besonders diejenigen in den Krisenländern, sind beschäftigt mit dem Abbau ihrer hohen Kreditrisiken, die in der Boomzeit aufgebaut wurden. Die enormen Bilanzsummen können nur mit Hilfe durch die Notenbanken refinanziert werden. Zudem zwingen die gestiegenen Eigenkapitalanforderungen durch die Regulierungsbehörden die Banken zur Verkleinerung ihrer Kreditbücher. In diesem Umfeld wirken die homöopathischen Leitzinssenkungen wie der berühmte Tropfen, der den heißen Stein trifft. Dass die erste Reaktion der Anleihemärkte gestern von Käufen bei den Staatsanleihen geprägt war und daher die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen auf 1,4 Prozent leicht gesunken ist, hat mit der Erwartung auf weitere, viel gravierendere Schritte der EZB zu tun. Die Marktteilnehmer erwarten, dass der Druck auf Mario Draghi in den nächsten Wochen kräftig zunehmen wird, seinen Beitrag zur Rettung der südlichen Krisenländer klar zu formulieren. Die Erwartung dabei ist, dass die EZB ein Kaufprogramm für Staatsanleihen der Krisenländer auflegen wird, um direkten Einfluss auf die viel zu hohen Finanzierungskosten in Spanien und Italien zu nehmen. Diese Kosten sind bezeichnenderweise gestern im Anschluss an die Leitzinssenkung weiter angestiegen, sodass sich der Zinsabstand zwischen Deutschland und den Südländern weiter ausgedehnt hat. Das ist natürlich nicht im Sinn der Politik. Dass die Aufkäufe von Anleihen der nächste logische Schritt ist, zeigen ja die Vorbilder Japan, USA und auch England. Hier laufen solche Programme schon einige Jahre und stellen sicher, dass nicht nur die kurzfristigen Geldmarktzinsen auf null stehen, sondern auch die längerfristigen Kapitalmarktzinsen von der Notenbank mitbestimmt werden.
Kartenhaus der Süd- und Peripherieländer bricht zusammen
Für den Euroraum ist die Situation jedoch ungleich komplexer als für diese Staaten. Macht doch die EZB eine Geldpolitik für 17 Mitgliedsländer mit zum Teil komplett divergierenden Konjunkturentwicklungen. Schon seit einiger Zeit zeichnet sich dabei ab, dass bei der Bekämpfung einer Krise, die durch massive Ungleichgewichte innerhalb des Euroraumes entstanden ist, die nächsten Ungleichgewichte gefördert werden. Diese werden zur nächsten Fehlallokation und damit zu neuen Ungleichgewichten führen. Was meine ich damit: Allen Beteiligten ist heute klar, dass mit der Einführung des Euros und damit dem Ausschalten des Währungsrisikos innerhalb Europas eine dramatische Kapitalverschiebung von Norden nach Süden eingesetzt hatte. Die Sparüberschüsse aus zentralen Euroländern wie Deutschland, Holland oder Österreich haben über den Transfermechanismus Banken ihren Weg in die Südländer gefunden und dort das Wachstum getrieben und zu einem Investitionsboom und Konsumrausch geführt. Kredite für Unternehmen, Privatkunden und speziell für den Immobilienkauf wurden historisch billig und die Verschuldung in diesen Ländern ist explodiert. Über Jahre hat die Einheitszins-Politik der EZB dazu geführt, dass in den wachstumsstarken Peripherieländern die Zinsen, bezogen auf den Konjunkturverlauf, viel zu niedrig waren, in den wachstumsschwachen Kernländern aber eigentlich immer noch zu hoch. Jetzt, wo klar geworden ist, dass das Kartenhaus der Süd- und Peripherieländer unter der Last der hohen Verschuldung zusammenbricht, nützen den Krisenländern auch die tiefen Leitzinsen nicht mehr. Längst fordern die Gläubiger exorbitant hoch wirkende Risikoaufschläge für die Vergabe von neuen Krediten an die klammen Staaten, während die Kernländer bisher als Zufluchtsort für Gelder aus den Krisenregionen gesehen werden. Das heißt, die Kapitalströme sind nicht nur zum Erliegen gekommen, sie haben sich sogar umgekehrt.
Jetzt fließen die Ersparnisse aus den Südländern in die noch bonitätsstarken und vertrauenswürdigeren Kernländer und haben dort die Zinsen für Staatsanleihen auf historische Tiefstände getrieben. Bezogen auf die durchaus gesunde Konjunkturentwicklung in den Kernländern sind damit jetzt bei uns die Zinsen viel zu niedrig und haben begonnen das Anlegerverhalten bei uns zu beeinflussen. Nullzins auf Spareinlagen treibt die Sparer in risikoreichere Anlagen. Immobilien stehen da ganz oben auf der Liste. Historisch tiefe Baugeldkonditionen machen den Erwerb von Immobilien auf Kredit nochmals einfacher und attraktiver. Wenn gleichzeitig auch die Löhne und Gehälter steigen, wirkt das wie ein Sonderkonjunkturprogramm für den Immobiliensektor – diese Entwicklung kennen wir aus Märkten wie Spanien, Irland oder Frankreich seit dem Eurostart nur allzu gut. Nach 15 Jahren Stagnation ist jetzt die Immobilien-Konjunkturmaschine in Deutschland eingetroffen. Noch sind die Preisanstiege bei Mieten und Kaufpreisen auf die Top-Standorte konzentriert, aber der Trend wird sich verbreitern und die Dynamik wird zunehmen. Die Neubautätigkeit wird steigen, die Beschäftigung im Immobiliensektor zunehmen. Was im ersten Schritt als logische und auch gerechtfertigte Aufholbewegung für den deutschen Immobiliensektor nach einer langen Durststrecke aussieht, kann aber in den nächsten Jahren zu einem gefährlichen Boom werden, der wieder die Gefahr einer Blase mit sich bringt. Heute sehen wir die Banken in Deutschland mit konservativem Kreditvergabeverhalten. Die Krise mit den Ostimmobilien ab Mitte der 90er Jahre hat eine Generation von Hypothekenbankern geprägt. Aber immer mehr Spargeld drängt in den Sektor und auch die Banken werden mutiger werden, wenn der Markt in der Breite boomt. Dabei darf eines nicht vergessen werden: Genauso wie der Immobilienboom in Spanien, Portugal, Frankreich oder Irland im Kern durch eine verfehlte Zinspolitik der EZB entstanden ist, so hängt auch das Schicksal des deutschen Immobilienmarktes an dem Dilemma der Einheitszinspolitik der EZB, die zu Missallokation und falschen Anreizen führt. Bezogen auf die aktuelle Konjunkturentwicklung, Lohnentwicklung und Inflationsrate in Deutschland wäre das angebrachte Zinsniveau bei uns eher bei drei Prozent für den Leitzins und bei vier bis fünf Prozent für die 10-jährigen Bundesanleihen zu sehen. 0,75 Prozent und 1,4 Prozent zeigen das Ausmaß der Fehlsteuerung zu der die EZB heute über die „Ein Zinsniveau für 17 Staaten-Politik“ gezwungen wird.
Deutschland wird bezahlen
Wie geht es weiter: Wir erwarten für den Herbst ein Nachgeben der EZB in punkto Staatsanleihenkäufe der Krisenländer. Ohne diese Maßnahmen wird die Situation für Spanien und Italien unerträglich werden. Gleichzeitig erwarten wir eine weitere Aufweichung der Position von Angela Merkel. Spanien, Italien und Frankreich haben sich zum Ziel gesetzt, ihre Vorstellungen zu Form und Zweck der Währungsunion umzusetzen. Dazu gehören Eurobonds genauso wie die Akzeptanz höherer Inflationsraten. Die EZB haben sie als Verbündeten zur Umsetzung dieser Vorstellungen längst gewonnen. Sie besetzen die Führungsposition und die Kernländer werden in wichtigen Entscheidungen einfach überstimmt. Es bleibt für Herrn Weidmann als Bundesbank-Präsident nur mehr die Rolle des Mahners und einsamen Rufers in der Wüste. Frau Merkel muss sich schrittweise den Vorstellungen des Triumvirats beugen, will sie nicht den großen Konflikt schaffen, der in letzter Konsequenz zum Austritt Deutschlands führen würde. Ein Austreten Griechenlands wäre ja noch möglich gewesen. Aber inzwischen ist allen Krisenländern klar, dass sich innerhalb des Euros viel besser auf das Geld der Geberländer zugreifen lässt.
Große internationale Anleger haben inzwischen begonnen, die Position Deutschlands als Hort der Sicherheit in Frage zu stellen. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Deutschland zahlen wird: entweder durch die fortschreitende Transferunion oder durch die immensen Anpassungskosten, die mit einem Ausstieg verbunden wären. Dass unter diesen Vorzeichen die Belastungen auch für Deutschland zu groß werden könnten, lässt die aktuellen Renditen für längerfristige deutsche Staatsanleihen viel zu niedrig erscheinen. Wir erwarten daher für das zweite Halbjahr steigende Langfristzinsen. Mit jedem EU-Gipfel bei dem Frau Merkel wieder einen Schritt Richtung Transferunion macht, wird sich diese Tendenz erhöhen. Für 2013 halten wir auch Bundesanleihe-Zinsen von drei Prozent wieder für möglich.
Für Baufinanzierungskunden heißt das, die aktuell noch tiefen Zinsen zu nutzen und abzusichern. Auch bestehende Darlehen sollten möglichst bald verlängert und die Gunst der Stunde genutzt werden.
von Robert Haselsteiner (Gründer und Vorstand der Interhyp AG)
Der Interhyp-Zinsexperte Robert Haselsteiner analysiert für Sie jeden Monat das Geschehen an den internationalen und deutschen Kapitalmärkten und erklärt dessen Auswirkungen auf die deutschen Baugeld-Konditionen. Robert Haselsteiner ist einer der Gründer der Interhyp AG. Vor dem Start mit Interhyp im Jahr 1999 war er mehr als 10 Jahre bei den Investmentbanken Salomon Brothers und Goldman Sachs in den Bereichen Kapitalmarkt und Zinsprodukte tätig.
Wir können auf mehr als 250 Banken zugreifen und erarbeiten gerne eine individuelle Lösung für Sie. Zur Analyse der eigenen Situation können Sie auch vorab die Rechner auf diesen Seiten nutzen. So bekommen Sie einen ersten Überblick.
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